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Dossier Jan van Werth

Aus Acta de Werth:

Die Finger der Elisabeth van Werth stecken in allerlei Geschäft - auch in manch anrüchigem Grundstückshandel. Trotzdem ist die Alte in Köln beliebt. Niemand trägt ihr was nach. Immerhin hat ihr Sohn, der bayerisch-kaiserliche Reitergeneral, zweimal die Reichsstadt gerettet. Hätte also Elisabeth van Werth jemals den Wunsch geäußert, auf den Bayenturm zu steigen - man hätte sie zuvorkommend hinauf geleitet. Man hätte gefegt, gelüftet, Wasser gesprengt und vielleicht sogar frisches Grün auf die Treppe gestreut. Wozu also die Förmlichkeit, mit der am Abend vor dem tödlichen Duell Johann van Werth beim Feldmarschall Gottfried Graf Huyn, Baron von Geleen, um die Erlaubnis nachsuchte, seiner hochwürdigen Frau Mutter die Landschaft zu zeigen - ausgerechnet von den Zinnen des Bayenturms?

Als ich davon erfuhr, da ahnte ich - es geht uns an. Seit meinem Dienst als Torschreiber hüte ich den vollständigen Satz Zweitschlüssel zum Turm. Vor Sonnenaufgang klomm ich also in den Bretterverschlag auf der Plattform und sperrte von drinnen zu. Gemächlich erwachte die Stadt. Zuerst fing der Betrieb bei der Fischpforte an. Boote löschten ihren nächtlichen Fang. Aus Deutz bimmelte das erste Glöckchen über den Strom. Sankt Severin fiel ein. Groß Sankt Martin. Die Bottmühle drehte sich knarrend auf dem Bock, bis ihre Segeltuchflügel im Wind lagen. Auf der Rheininsel prüfte jemand mit dem Hammer die Planken eines Kahns, der überholt wurde. Die dumpfen Schläge jagten vier Rinder wie toll über die Weide. Die Zeit der Frühmesse verstrich. Endlich erschollen unten militärische Kommandos: Die Turmwache trat vor dem General und seiner Mutter an.

Van Werth machte einen übernächtigten Eindruck, schon als seine Hutfeder die Luke hinauf gewippt kam. Matt bot er einer verschleierten Frau den Arm, um ihr auf die Plattform zu helfen. Seine Mutter folgte ohne kavaliersmäßige Unterstützung, nicht einmal van Werths Ordonnanz kümmerte sich um sie. Van Werth schaute sich gründlich um, trat auch zu meinem Verschlag und rüttelte an der Tür. Durch das Astloch sah ich die verletzte Nase in seinem Gesicht. Stumpf blickten die blutunterlaufenen Augen. Er schnaufte vor Anstrengung. Der Mann war krank. Als er sich sicher glaubte, legte er die Hand auf die Schulter seines Leutnants und sprach ernst: „Herr Kamerad, stell dich jetzt unten an die Stiege und lass niemand vorbei!“
Kaum waren sie allein, verlor Elisabeth van Werth die Geduld: „Was ist denn mit dir los, Junge ... ? Und wer ist dieses Weib ...?“
„Griet, du kannst jetzt den Schleier abnehmen“, sagte der General. Der Teufel musste ihn reiten, ausgerechnet seine stadtbekannte Jugendliebe, die ihm einst den Laufpass gegeben hatte, mit seiner Mutter zusammen zu bringen. Die Alte plusterte sich denn auch gleich auf und jammerte: „Oh Gott, Junge, was tust du deiner alten Mutter an? Und was soll ich bloß Isabella schreiben?“
„Isabella?“ fragte Griet.
„Isabella Freifrau von Werth“, sagte die Alte sehr von oben herab, „die rechtmäßige Ehefrau des Generals, du Marktdirne.“
„Na, wenn der Jan doch seine Isabella hat, was will er dann von mir?“ fragte Griet.
„Ich brauche deine Hilfe“, antwortete van Werth. Steif fügte er hinzu: „Es geht um Leben und Tod.“
Griet lachte spöttisch auf. „Das bist du als Soldat doch wohl gewöhnt - nach sechsundzwanzig Jahren Krieg!“
„Um meine Haut ist mir dabei am allerwenigsten bang“, seufzte van Werth. Aber, so berichtete er, seine ganze Familie schwebe in höchster Gefahr - Frau Isabella in Geislingen, die Kinder aus erster Ehe, die Geschwister, die Mutter, kurz, alle, die ihm nahe stünden. Während seiner Reise vom Oberrhein nach Köln hatte er zwölf Tage krank auf den Tod gelegen. Die Ärzte diagnostizierten Gift. Nur dank eines Beozars und seiner Rossnatur hatte er überlebt. Gestern dann, auf dem Abtritt eines Gasthofs, hatte man ihm eine neuerliche Warnung zukommen lassen. Zwei Mann hatten ihn von hinten gepackt, ihm eine Messerspitze ins Nasenloch gebohrt und flämisch auf ihn eingeredet.
„Und sie wissen viel, Mutter, fast alles“, sagte er. „Sie müssen überall Spione haben. Sie wissen, mit wie vielen Kopfkissen du schläfst und kennen das Rezept der Biersuppe, die du frühstückst. Sie sagen mir, was meine Frau und die Sophie beichten. Vor ihnen gibt es kein Geheimnis. Darum habe ich euch hierher gebracht, wo niemand uns belauschen kann.“
Seit Monaten, erzählte Jan van Werth, drangsaliere man ihn, er solle die Friedensverhandlungen zu Osnabrück und Münster sabotieren.  
„Sie wollen, dass ich den venezianischen Vermittler Alvise Contarini verjage. Meine Reiter sollen seine Verpflegung stehlen, die Sekretäre einschüchtern, ihn selber durchprügeln. Seinen ständigen Kontakt zu den venezianischen Botschaftern in Wien, Paris und Madrid soll ich unterbinden. Seine Boten sollen vom Pferd fallen und den Hals brechen. Die Diplomatenpost soll verschwinden oder gefälscht werden. Mit allen Mitteln soll ich Contarini zur Verzweiflung treiben, bis er aufgibt und heimreist. Der Friedenskongress soll scheitern. Und dafür sollen Contarini und Venedig vor aller Welt die Schuld tragen. Und für den Fall, dass ich mich weigere, droht der Familie van Werth der Tod. Ich weiß nicht, wer dahinter steckt. Sie sprechen zwar flämisch mit mir, aber das muss ja nichts heißen. Wer hat Vorteil von der Fortdauer des Kriegs? Der Kaiser und die deutschen Reichsstände gewiss nicht. Schweden ebenso wenig - die junge Königin ist ein liebes Kind. Spanien erst recht nicht. Es hat die Niederlande verloren, die zweite Armada ist ihm versenkt, die Katalanen rebellieren und Portugal ist abgefallen. Spanien braucht ein bisschen Ruhe. Sein Traum von Weltherrschaft ist einstweilen geplatzt. Und Frankreich? Mazarin will verhindern, dass Schweden sich an der deutschen Ostseeküste festsetzt. Schon deshalb kann er nicht wollen, dass der Krieg unbegrenzt dauert. Für seinen Geschmack ist Habsburg mittlerweile genug geschwächt ...“

Bertuccio Manini, praefectus archivorum, Publikationskommentar:

Kurz zuvor war das noch anders gewesen. Johann von Werth hatte ab 1638 vier Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft verbracht, in ritterlicher Haft auf Ehrenwort, umschwärmt in Paris, als Gast am Königshof und bei Kardinal Richelieu. Richelieu bot ihm an, die kaiserlichen und bayerischen Dienste zu quittieren und für Frankreich zu fechten. Die habsburgische Länderklammer um Frankreich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgebrochen, und der Reitergeneral, der im Handstreich fast einmal Paris erobert hätte, wäre eine ansehnliche Verstärkung für das französische Heer gewesen. Doch Johann van Werth lehnte ab. Deshalb kam er erst am vierundzwanzigsten März 1642 wieder frei, im Austausch gegen den schwedischen Feldmarschall Gustav Horn, den Werth‘sche Kürassiere vom Regiment Busch schon in der Schlacht bei Nördlingen gefangen hatten. Während dieser Jahre erzwungener Untätigkeit war in Bayern General Mercy zum Oberkommandierenden aufgerückt, eine Schmach, die van Werth niemals verwinden sollte.
Heute weiß COT ziemlich sicher, dass keine der kriegführenden Mächte damals den Johann van Werth unter Druck setzte. Aber wer sonst? Vorstellbar wäre eine Verschwörung von Kriegsunternehmern und Generalen, für die der Friede den Ruin bedeutete. Beweise dafür gibt es nicht.  
Vielleicht der Papst? Fest steht: Als der Westfälische Friede vier Jahre später unterschrieben wurde, hat Papst Urban VIII. den Frieden gebannt, weil die Kirche dabei Land verlor. Und die Rolle des päpstlichen Nuntius Chigi in Münster war mehr als zweifelhaft. Wir können aber auch der Kirche nichts beweisen.
Vielleicht Sultan Ibrahim I.? Immerhin holten die Türken erneut zum Schlag aus: gegen Venedig und bald darauf gegen Wien. Hofften sie, dass das Abendland sich weiterhin selbst zerfleischte?
Leider fallen uns zuguterletzt auch noch die Kollegen vom Halbmondrat ein. War dies ihre Revanche für den Krieg zwischen Persien und dem Osmanischen Reich, den wir unter der Regierung Rudolfs II. entfesselt hatten? Zumindest hätte CLU über die Kapazitäten verfügt, die Familie Werth  lückenlos zu kontrollieren.

Aus Acta de Werth:

„Auch wenn ich noch keine Hintermänner weiß“, erklärte van Werth, „so muss der Contarini doch von dieser Lumperei erfahren. Ich selber darf nicht zu ihm, weil sie mich beobachten. Sie würden sich an der Familie rächen. Also muss Contarini schriftlich gewarnt werden. Aber ihr wisst ja: Ich kann nicht schreiben. Und diesen Brief will ich auch nicht diktieren - vielleicht ist der Stabsschreiber ihr Spitzel.“  
„Mit so was hab ich nichts zu tun“, sagte Griet, „und schreiben kann ich auch nicht!“
„Ich schon“, murmelte Elisabeth van Werth.
„Eben! Du, Mutter, schreibst, was Griet nicht schreiben kann. Aber du darfst den Brief natürlich weder auf die Post geben, noch einen Dienstboten zu Contarini  schicken. Deshalb bringt Griet den Brief nach Münster, und tut, was der Familie verwehrt ist.“
„Den Teufel werd ich!“ sagte Griet.
Erneut fiel die Alte über sie her. „Johann, schick das Mensch fort, ich und deine Frau, wir haben deine Auslösung aus der Gefangenschaft erreicht. Das hier schafft die Familie erst recht allein ...“
Geflissentlich überhörte van Werth sie. Als seine Mutter jedoch Griet den Schleier vom Kopf riss und sie bei den Haaren packte, ging der General dazwischen und versetzte der Alten einen symbolischen Klaps auf die Wange. Dann war Ruhe, bis auf das theatralische Schluchzen der Geohrfeigten.
„Griet ... “, bat van Werth, „ ... du wolltest mich nicht, als ich noch ein Knecht war. Da wolltest du was Großes, ein bedeutenderes Leben als das an meiner Seite. Nun sag ich dir: was Größeres als dieses Spiel um den Frieden der Welt begegnet dir nie wieder. Sei jetzt bedeutend! Hilf mir!” Werth küsste seine Mutter auf die Stirn und ihr Schniefen endete. „Du, Mutter, schreibst dem Kaiser, falls mir etwas zustößt. Nicht an Bayern! Der Betschwester Max ist nicht zu trauen. Richelieu hat mir aus der Diplomatenpost zwischen Frankreich und Bayern vorgelesen. Außerdem hat Bayern mir den Mercy vor die Nase gesetzt, während er mich in Haft versauern ließ.” Van Werth wandte sich wieder an Griet: „Senator Contarini wohnt in Münster beim Dom. In der Büren’schen Kurie. Dorthin bringst du den ersten Brief.“
„Die lassen so eine wie mich doch gar nicht zu ihm“, sagte Griet.
„Mag sein, doch es genügt, wenn du einem Schreiber oder Kammerdiener mein Siegel zeigst. Jeder weiß dann, dass Contarini den Brief lesen muss.“
„Und wie komm ich nach Münster? Und wer zahlt die verfaulten Äpfel?“
„Deinen Verdienstausfall ersetzen wir und auch darüber hinaus wird es dein Schade nicht sein“, sagte der General. „Du fährst mit der Post und behältst noch ein schönes Stück Geld für den Sparstrumpf.“
„Gott, Junge, hast du Glück, dass diese Wucherin nicht deine Frau geworden ist“, zischte die Mutter.
„Wenn ich wie du um Land und Häuser schacherte“, sagte Griet ruhig, „könnte ich mir Großzügigkeit erlauben. Aber ich handle nur mit Obst.“
„Schluss jetzt!“ befahl der General. „Falls alles schief geht, will sagen, wenn sie mich und Contarini ermorden, dann muss die Republik Venedig von der Verschwörung erfahren.“
„Nach Venedig reise ich aber nicht!“ sagte Griet und diesmal klang sie unerbittlich.
Der General lächelte. In seinem Blick lag ein Anflug von Fürsorglichkeit. Er zog die Hälfte einer entzwei gebrochenen Münze aus dem Ärmel.
„Griet“, sagte er, „ich weiß doch, du kannst dich unmöglich allein bis Venedig durchschlagen. Aber bis Venlo - das schaffst du, oder? Such dort den Kaufmann Jacob van de Weyer auf und zeig ihm diesen halben Gulden. Er hat die andere Hälfte. Er weiß nicht, um was es geht. Aber er nimmt dich nach Venedig mit und kann erreichen, dass der Doge dir Audienz gewährt. Machst du‘s?“
„Ich mach es nicht!“
„Danke, ich hab gewusst, du machst es“, sagte van Werth, „ich danke dir von ganzem Herzen.“ Dann fing er an, die Briefe zu diktieren.

Bertuccio Manini, praefectus archivorum, Publikationskommentar:

Am achtzehnten Juni 1643 hatten die kriegführenden Mächte in Hamburg einen Präliminarvertrag geschlossen. Frankreich, Schweden und der Kaiser einigten sich nach endlosen Querelen über Formfragen auf die beiden Verhandlungsorte Münster und Osnabrück, letzteres auf besonderen Wunsch der noch unmündigen Königin Christine von Schweden.  
In Münster sollten die katholischen Diplomaten verhandeln, in Osnabrück die protestantischen. Beide Städte sollten neutral sein, ebenso die Zufahrtstraßen. Rings um diese Inseln der Prasserei, der Eitelkeiten und Intrigen kämpften und plünderten die Heere.  
Bis Dezember 1644 trafen nach und nach Gesandte der europäischen Mächte ein, insgesamt hundertachtundvierzig, davon hundertelf Deutsche und siebenunddreißig Ausländer. Nur England, Russland und die Türken fehlten.
Alvise Contarini war der Vermittler des Westfälischen Friedens, kaltblütig, zäh und gerissen. Er war dabei nicht nur in Münster und Osnabrück tätig, sondern koordinierte auch seine Botschafterkollegen in Madrid, Rom, Kopenhagen, München, Paris, Holland, Stockholm und Wien. Contarini war bestens auf seine Aufgabe vorbereitet. Er hatte schon in Den Haag, London, Paris und Rom Dienst getan, auch in Konstantinopel. Dort hatte Sultan Murad IV. ihn sechs Jahre zuvor eingesperrt, nachdem die Venezianer fünfzehn Galeeren der Barbaresken versenkt hatten. Aus dem Kerker heraus hatte Contarini einen Kompromiss vermittelt. Auch in Münster hatte seine Arbeit mit der Politik der Hohen Pforte zu tun, denn Venedig hatte ein besonderes Interesse am Friedensschluss. Die Türken bedrohten erneut Kreta, das zum Seereich der Serenissima gehörte. Venedig erhoffte sich vom Frieden einen einheitlichen außenpolitischen Kurs des christlichen Abendlands gegen die Hohe Pforte.

Fabio Chigi, Bischof von Nardo und päpstlicher Nuntius vertrat auf dem Kongress die Interessen des Heiligen Stuhls. Er versuchte mit geringem Erfolg, zwischen den katholischen Mächten zu vermitteln. Mit Protestanten durfte er gar nicht erst verhandeln. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte der Papst ihm geschrieben, die Unterschrift protestantischer Häretiker sei ohnehin wertlos, da Glaubenslosen nun einmal nicht zu glauben sei. Chigi residierte mit seinem fünfzehnköpfigen Gefolge im Minoritenkloster und beklagte in lateinischen Gedichten, dass ihm auf Münsters Straßen zu viele Schweine herumliefen. Das war sein hauptsächlicher Beitrag.
Als er den Frieden zwischen dem Kaiser, Frankreich und Schweden nicht verhindern konnte, legte Fabio Chigi Protest ein, denn in den evangelischen Gebieten Deutschlands büßte die katholische Kirche ihren Landbesitz ein. Der Verlust war so enorm, dass der Papst ein paar weitere Kriegsjahre vorgezogen hätte.
Vor dem Kongress war Fabio Chigi päpstlicher Nuntius in Köln gewesen. Er kannte die Familie van Werth und ihre Lebensumstände genau. Aber das beweist natürlich nichts. Im Jahre 1655 bestieg Chigi unter dem Namen Alexander VII. den päpstlichen Thron.

Aus Acta de Werth:

Elisabeth van Werth kniete am Boden, und schrieb den dritten Brief: nach dem an Contarini, und dem an den Kaiser nunmehr den Dogen. Der General hatte Papier und Feder, Löschsand, Tinte und Siegellack mit auf den Turm gebracht - sogar an die Kerze zum Schmelzen des Lacks hatte er gedacht. Nun schlug er Feuer, um den ersten Brief zu siegeln. Seine Mutter schimpfte über Schmerzen im Kreuz, schrieb dabei allerdings so flüssig wie ein Sekretär, obwohl der Boden der Turmplattform wirklich eine denkbar schlechte Unterlage war ... 
Van Werth drückte Griet den halben Gulden in die Hand, das geheime Zeichen für den Venloer Kaufmann Jacob van de Weyer. Dann überreichte er ihr eine pralle Börse.  
„Machst du's?“ fragte er.
„Ich mach es nicht“, sagte Griet. Aber die zerbrochene Münze und den Geldbeutel steckte sie ein.

Für den Abend hatte Feldmarschall Gottfried Graf Huyn von Armstrand, der kaiserliche Oberkommandierende der Defensionsarmee des Niedersächsischen Reichskreises, alle in der Stadt versammelten hohen Offiziere zum Gelage ins Tanz- und Kaufhaus, den Kölner Gürzenich, geladen. Unter den Gästen waren auch Johann van Werth, Obrist Filippi, sowie der kaiserliche Obrist Graf Merode von der flandrischen Linie des Hauses.
Vormittags, sobald ich aus meinem Holzverschlag heraus war, veranlasste ich alles Nötige zum Schutze Contarinis. Nachmittags verschoben wir für das Bankett im Gürzenich die Verkaufsstände und Warenballen von der Kaminseite auf die gegenüber liegende Seite des großen Saals. Alle Fässer litschten wir ins Erdgeschoss, bevor wir die Bretterrutsche von der Treppe nahmen. Wir verhängten das bunte Durcheinander der Waren zwischen den Mittelpfeilern mit Linnen. So wurde der Saal zwar zum Schlauch, aber zu groß für das Fest blieb er dennoch. Der Feldmarschall hatte rund dreißig Offiziere eingeladen. Ohne Damen bildeten sie ein verlorenes Grüppchen in dem langen Raum. Ob sie sich spät zur Nacht noch Huren würden kommen lassen, war nicht ausgemacht. Nun saßen also dreißig Herren am Hufeisentisch, etwas versetzt zum wuchtigen, ungeheizten Kamin, wo es zog wie Hechtsuppe. Es ging bereits recht laut zu, doch leider nicht sehr lustig.
Der Feldmarschall hatte am Wein nicht gespart, und daran entzündete sich ein unguter, zänkischer Wettstreit der Kenner, befeuert vom Schnaps, den einige Herren schon in ihren Perlwein mischten. Obrist Filippi rühmte die Ergebnisse, die er auf seinem Gut im Friaul mit der Gamay-Rebe erzielte. Graf Merode hielt das für schändlichen Unfug, denn schon Philipp der Kühne habe 1395 den Anbau der Gamay in der Cote d‘Or verboten. Folglich könne die Gamay gar keine gute Rebe sein. Ergo sei ihr auch im Friaul kein ordentlicher Tropfen abzupressen. Nun mischte sich General van Werth ein, der Mann aus dem Volk, der sich in Gegenwart des Hochadels oft befangen fühlte. Hier konnte er jedoch mit seinen Kenntnissen vom Pariser Hof auftrumpfen. Er tat es freudlos, wie er den ganzen Abend schon bleich und freudlos dagesessen hatte, kaum essend und sparsam trinkend. Doch seine Bemerkungen, so matt sie vorgetragen wurden, brachten Merode in Rage. Bald gab nun eins das andere: Der Feldmarschall brachte einen Trinkspruch aus, die Herren sollten sich des prallen Lebens freuen, solange der Krieg noch daure. Bald sei die Herrlichkeit nämlich vorbei. Nach dieser Rede des Gastgebers stand van Werth auf und prostete der Runde mit Burgunder aus dem frisch angeschlagenen Fass zu. Er stimmte im Jülicher Dialekt ein Lied an, dessen Refrain ungefähr so holperte: „... füllet die Humpen, Gesellen, singt laut! Lasst mit Wein uns voll pumpen, nicht für Geusen gebraut.“
Nun zählte die Familie Merode gewiss nicht zum aufständischen evangelischen Geusenadel der Niederlande, doch Merode nahm schon das bloße Wort ‘Geusen’ persönlich. Brüllend schmetterte er sein volles Glas zu Boden: „Was fällt Euch ein, van Werth, noch Eure Großeltern waren ketzerische Bauernlümmel aus Friesland!”
„Ihr sprecht ja flämisch, Graf“, sagte van Werth. „Auch gestern Morgen sprach man mich auf Flämisch an. Wart Ihr das? Stießen mir Eure Handlanger das Messer ins Nasloch?“
Im Gürzenich wurde es totenstill. Die Dienerschaft klapperte nicht einmal mehr mit abgetragenem Geschirr. Merode sagte: „Gewiss, Herr General, spreche ich flämisch. Im Gegensatz zu Euch brauche ich mich meiner Herkunft nicht zu schämen. Bei uns gab es noch nie Verrat.“
Johann van Werth griff sein Degengehenk von der Stuhllehne, wo er es der Bequemlichkeit halber aufgehängt hatte. Der Feldmarschall beschwichtigte: „Lasst gut sein, ihr Herren!“ 
„Ich lass es gut sein, wenn ich es für gut befinde“, fuhr Merode ihn an. „Er wäre nicht der erste verräterische General, dem man auf einem Bankett absticht.“
„Ich diene“, sprach van Werth, „seit Jahren treu - dem Kaiser und dem Herzog Maximilian. Insofern trifft der Vergleich mit Generalissimus Wallenstein nicht zu. Aber als Truppenführer muss ich schon sagen, dass der Vergleich mir schmeichelt, Herr Obrist Marode ... pardon: Merode.“

Bertuccio Manini, praef. arch., Publikationskommentar:

Der kaiserliche Generalissimus Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, Herzog von Friedland und Mecklenburg, Fürst von Sagan, hatte in Geheimverhandlungen mit Sachsen einen allgemeinen Reichsfrieden angestrebt. Der Kaiser bewertete dies als Hochverrat. Er ächtete Wallenstein und gab halbherzig Weisung, ihn zu ermorden. COT blieb keine andere Wahl, als den legaten Wallenstein in Sicherheit zu bringen. Das Ereignis von Eger, die Nacht des fünfundzwanzigsten Februar 1634, lief daher etwas anders ab, als die Geschichtsbücher berichten. Der Leichnam, der als Wallenstein beerdigt wurde, war nicht Wallenstein. Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein starb erst am siebzehnten Juni 1641 auf Torcello bei Venedig, friedlich im Kreis seiner Gichtärzte.

Aus Acta de Werth:

Filippi war immer noch verärgert darüber, wie Merode ihn abgekanzelt hatte. Außerdem war Filippi mittlerweile so betrunken, dass ihm jede Vorsicht abhanden kam. Er hob sein Glas und lallte: „Vivat Wallenstein! Generalissimus Pacis, Ritter des Friedens!“
Das wiederum war für Merode zuviel. Er griff seinen Degen, pflanzte sich breitbeinig vor Filippi auf und schrie: „Das nehmt Ihr sofort zurück!“
Filippi lachte und schwankte, als er aufstand. Merode hieb ihm mit der Degenspitze einen Riss durch den Kragen. Nun zog auch Filippi blank und ging auf Merode los, der von der plötzlich so energischen Gegenwehr dermaßen überrascht war, dass er nicht rechtzeitig parierte, sondern einen Stich in die linke Hand abbekam. Beim wutschnaubenden Gegenausfall aber drang sein Degen eine Handspanne tief in die Brust Filippis, der hintenüber kippte, mit dem Kopf hart an die Tischkante schlug und still am Boden liegenblieb. Zu sechst bändigten wir Merode und setzten ihn auf die Straße. Ich schickte einen Diener nach dem Feldscher.

Merode jedoch hatte noch nicht genug Händel. Statt heimzugehen, blieb er verdrossen an der Ecke Boven Mauer/In der Hellen stehen. Er wickelte ein Tuch um seine blutende Hand und schaute leise fluchend zu den erleuchteten Fenstern des großen Saals empor. Dabei fiel sein Blick auch auf die Häuschen, die an den Chor Sankt Alban grenzen. Plötzlich zog er wieder blank, sprang über die Straße und stieß halb in den dunklen Eingang des mittleren Hauses vor.
„Wer bist du und was tust du hier?“
Eine verängstigte Frauenstimme gab Antwort, aber ich konnte nichts verstehen, sie sprach zu leise. Merode zerrte die Person zur Laterne der Gürzenichtür - es war die Griet.
„Warum versteckst du dich?“ 
„Ihr macht mir Angst, Herr.“
„Wo willst du hin?“
„Ich warte.“
„Auf wen?“
„Auf den Herrn General van Werth.“
„Was besseres als dich kann sich der Bauer wohl nicht leisten!“ Der Diener, den wir losgeschickt hatten, brachte den Feldscher, und ich öffnete die Tür. Merode, der sah, dass ich nicht wieder zuschloss, rief: „Heh Ihr, hopp, hopp, hinauf zum Werth und sagt, ich habe noch ein Wort mit ihm zu sprechen. Und wenn ich mit ihm fertig bin, dann kann das Trampel ihm den Priester holen, gleich hier unter dem Stadtgründer Agrippa.“ Merode zeigte mit seiner Degenspitze zur Figur über der Tür des Gürzenich.
Als ich dem General oben erzählte, die Griet erwarte ihn, sie werde von Merode belästigt, der drohe, ihn zu töten, da sank für einen Augenblick Jan van Werths Kinn auf die berüschte Brust. Der Spitzbart kam aus der Fasson und stand nun steif nach vorn, was seinem bleichen, müden Gesicht doch wieder einen Stich ins Kecke verlieh. Er wusste, dass er für diesen Kampf auf Leben und Tod nicht in bester Verfassung war. Ich sagte noch dem Feldmarschall Bescheid und auch dem Feldscher. Er konnte für Filippi nichts mehr tun. Der hatte zuviel Blut verloren. Und mit den anderen Herren war nichts mehr anzufangen. Die hatten zu viel Wein im Kopf. Zu viert traten wir vor die Tür.
„Ich mach‘s, Jan, ja ich mach‘s, hast du gehört, verstehst du mich?“ rief Griet, sobald van Werth im Lichtkegel auftauchte.
Und er darauf: „Hab Dank, aber kein Wort mehr jetzt!“
Merode höhnte: „Oh, teilt der Herr General und Ehrenbürger Kölns Geheimnisse mit diesem Trampel?“
„Lasst die Frau los!“ sagte van Werth.
„Sofort lasst Ihr die Frau los, Herr Obrist“, bekräftigte der Feldmarschall. „Ich verbiete das Duell!“
Merode stieß Griet Richtung St. Alban von sich und grüßte mit dem Degen. „Um Vergebung, Feldmarschall, aber wir müssen aufräumen“, sagte er. Dann drang er ohne Warnung auf van Werth ein, der mühsam parierte und Schritt um Schritt zurückwich.
Lange sah es so aus, als bliebe Merode Sieger. Er trieb den General die Gasse Boven Mauern nach rechts, an der Ratslaube vorbei, bis zum Rathausturm, unter die Sandsteinfigur Marcus Agrippas, wo sie verschnauften. Der General keuchte bereits vor Anstrengung.
„Ich sagte doch, es erwischt Euch unter dem Gründer Agrippa“, höhnte Merode.
Aber nun zeigte sich, dass van Werth doch nicht so krank und schwach war. Er sammelte die letzte Kraft und machte einen Ausfall. Van Werth focht nun besinnungslos auf Angriff. Ein Stolpern nur, eine misslungene Parade, ein Fehltritt - und der General  war tot. Aber er trieb den Gegner zurück, immer weiter, wieder am Rathaus vorbei, weiter - bis plötzlich nach einem Treffer Merodes am Parierbügel Johann van Werth die Waffe senkte und aufschrie: „Weh! Meine Hand!“
Merode glaubte den General wehrlos, warf sich auf ihn - und rannte in die unversehens wieder hochgerissene Klinge.
Merode war auf der Stelle tot. Er legte keine Beichte ab, sprach keine letzten Worte. Ob er ein rauflustiger Einzelgänger war oder im Auftrag handelte, konnte ich nicht ermitteln, ebensowenig den Sinn seiner Anspielungen auf Agrippa, den Gründer. Inzwischen war die Scharwache alarmiert und nahm Jan van Werth über Nacht in Gewahrsam. Am nächsten Tag ließ man ihn aber wieder frei. Die Zeugen stimmten darin überein, Jan van Werth habe in Notwehr gehandelt.
Ich informierte Seine Exzellenz Alvise Contarini, dass Seiner Exzellenz und dem Friedenskongress keine Gefahr mehr droht. Ich schlage jedoch dem legatus in provincia vor, zum Schutz des Contarini und der Familie van Werth umfassende Vorkehrungen zu treffen und verbleibe bis dahin ergebenst ...

Bertuccio Manini, praef. archivorum, Publikationskommentar:

Danach hat es die Gründer noch vier Jahre Wachsamkeit gekostet, Alvise Contarini am Leben zu erhalten. Einmal entging er nur knapp einem Anschlag. Herausgefunden, wer hinter all dem steckte, hat COT niemals. Aber das war auch nicht wichtig. Am Ende stand der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück, in dessen Präambel zu lesen war: 
„...erreicht durch die Bemühungen des hochberühmten und ehrenwerten Botschafters, des Senators von Venedig Ritter Alvise Contarini, der fast fünf Jahre lang mit großer Sorgfalt und völlig unparteiisch als Vermittler in diesen Angelegenheiten tätig war.“
COT hatte in der Regierungszeit Kaiser Rudolfs II. den Ausbruch des Kriegs in Deutschland lange verzögert. Dennoch müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir den Dreißigjährigen Krieg nicht verhindern konnten. Aber den Friedensschluss - den haben wir ermöglicht, auch das soll nicht vergessen werden.