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Dossier Kaiser Otto III.

Aus Nota Arnulfi:

Justinian schaut nicht erhaben aus dem Mosaik ... im Purpurmantel grinst der Kerl, sag, Arnulf - ob er uns verhöhnt, hier, wo der letzte weströmische Kaiser Romulus Augustulus ... schaut er nicht hochnäsig? Germanische Gesichtszüge bei Leibwächtern? Das wäre ja ... wann kommt denn nun die Botschaft aus Venedig, Arnulf, wie lange muss ich hier noch warten? Das könnte ihm so passen - Leibwächter! Ich bin wie er - Römischer Kaiser! Ebenbürtig! Otto, dritter meines Namens, Sohn west- wie oströmischen Kaiserblutes. Und dieses achteckige Gotteshaus, dies San Vitale zu Ravenna hier, ist bloß das Vorbild für die Kaiserpfalz zu Aachen. Und dennoch grient Justinian frech – obwohl, eine schöne Frau, die hat er ...
Ausmeißeln sollte ich das Mosaik! Wie der sich spreizt in eitler Pracht unter dem Diadem umwallt vom Purpur bis hinunter zu den Schuhen. Großspurig stellt er sich Jahrhunderten zur Schau. Und ich, Arnulf - muss mich verstecken!

Gesandte aus Venedig lassen auf sich warten – triftigeren Grund zu dem Lamento hat er nicht. So weit hat er sich also verrannt, der junge kaiserliche Hund, so weit, dass wir ihn nicht mehr an der Leine haben: Im Gewölbe unter Aachens Pfalzkapelle will Otto den Leichnam Kaiser Karls entdecken. Otto der Große genügt nicht mehr als Vorfahr auf dem Kaiserthron. Also bahrt er einen würdigen Greis auf. Um die volle Wahrheit zu sagen: Nicht er allein - wir beide, er und ich, kleiden den Leichnam, gürten ihn kaiserlich und vermauern die Gruft, damit Otto später das Gewölbe aufbrechen kann und hinabsteigen zum sagenhaften Karl. Was gibt das für ein Raunen um den alten Heldenkaiser zur Jahrtausendwende! Was funkelt da ein Glorienschein um das Geschlecht der Liudolfinger! In welch erhabener Nachfolge sie nunmehr stehen! Nur, wie wir die Sippschaft des hünenhaften, ungemein würdevollen toten Fischers ruhig stellten, das bleibt mein schmutziges Geheimnis - meines und das der übrigen legaten.

Und doch, Arnulf, zählt ohne Rom dies alles nichts. Bedeutet nichts. Wiegt nichts. Nur Roms Besitz, nur Rom als Hauptstadt wöge auf - die Tatsache, dass meine Mutter keine purpurgeborene Prinzessin war, dass das östliche Kaisertum so viel älter ist ... die unerträgliche Hochnäsigkeit der Byzantiner. Sag, Arnulf, wann geruht Venedigs Botschafter, mir seine Aufwartung zu machen, heh? Lässt man denn einen Kaiser zappeln? Ließe er Basilios warten? Das würde er nicht wagen. Nun gut, ich und der Doge haben größte Heimlichkeit vereinbart, aber gar so geheim ...? Sag mir, wie dringend brauche ich Venedig eigentlich?
Hätte ich nur Rom! So wie ich sie nach Niederwerfung des Crescentiers besaß, Rom und das Weib des toten Feindes ... damals besaß ich Rom und siehe da - alles ward gut. Boleslav von Polen war mein Gefährte im Herrscheramt und mein Freund. König Stephan von Ungarn schickte um die geweihte Krone. Papst Sylvester war mir gewogen, wie ich ihm. Und Pietro Orseolo, Doge der Veneter, eroberte Dalmatien. Immer festere Bande knüpften wir zwischen West- und Ostrom. Immer tragfähiger wurde die Brücke Venedig. Immer wahrscheinlicher die Union aller Christen, nachdem das Jahrtausend vollendet war und das Jüngste Gericht uns erspart geblieben.

Es lief beinahe prächtig in jenen gar nicht fernen Tagen. Das fatale Datum 1000 mit seinem üblen Einfluss auf den Kaiser war verweht. Otto widmete sich seiner Aufgabe. Als am vierten Januar 1001 sein Lehrer Bernward von Hildesheim in Rom eintraf, um im Gandersheimer Streit gegen Erzbischof Willigis zu klagen - da glaubten wir die Sache bald erledigt. Völlig zu Recht sprach der Kaiser Bernward die bischöfliche Oberhoheit über das Gandersheimer Damenstift zu. Höchste Zeit, den Querulanten Willigis in die Schranken zu weisen, der weder dem Kaiser noch den Gründern mehr gehorchte! Friedrich von Ravenna ging als päpstlicher Legat mit dem Entscheid zu Willigis und damit glaubten wir den Streit behoben. Es folgten heitere Tage, in denen wir beisammensaßen und am ottonischen Weltplan webten.

Dann rebellierte Tivoli gegen meinen Statthalter Mazolinus, und ich musste mit Heeresmacht gegen die Festung ... Anfang vom Ende ... Arnulf, schau vor die Tür, dort unter jenem schönen Rundbogen, dort halte Ausschau! Wo bleibt die venezianische Gesandtschaft?
Also belagerte ich Tivoli. Doch diesmal wollte ich nicht hart sein, kein grausamer Kaiser. Ausgleichen wollte ich im Buch des Herrn, was ich verbrochen hatte an Crescentius in Rom. Der Papst vermittelte. Mein Lehrer Bernward vermittelte. Romuald, der heilige Mann von Ravenna vermittelte. Endlich ergab sich Tivoli, die Unbotmäßige, auf Gnade oder Ungnade. Und war ich nicht ein gnädiger Kaiser? Ließ ich Rädelsführer blenden, verstümmeln, hinrichten wie früher? Oh nein - der Kaiser hörte auf die Fürsprecher der bösen Stadt, folgte dem Rat drei weiser Gottesmänner und war überaus gnädig. Wo bleibt der Venezianer, Arnulf?

Geduld, Herr Kaiser, nur Geduld - die Venezianer kommen bald! Sollten wir nicht die Wache fortschicken? Was sich heute bei der Leibwache herumspricht, weiß morgen Euer ganzer Hof ...
Dem Rate weiser Gottesmänner wäre er gefolgt? Pah! Der kaum achtzehnjährige Kaiser war seit jeher ein launischer Junge, erst recht seit Schwertleite und Mündigkeit. Doch was nun anhob, dies Auf und Ab der Launen zwischen Herrscherwillkür und Wohlgefälligkeit in Christo ... dass Tivoli ganz unbestraft davonkam, war ein Skandal. Es empörte die Römer, die einen härteren Kaiser erlebt hatten und sich gedemütigt fühlten durch den Gnadenerweis für Tivoli. Besonders empört war Graf Gregor von Tuscula. Der hatte das gezüchtigte Tivoli als Lehen erhofft. Er stellte sich an die Spitze des Aufstands. Nur Stunden später waren wir in der Pfalz auf dem Aventin umzingelt - aus Belagerern von Tivoli zu Belagerten in Rom geworden.

So ging mir Rom verloren. So wurden wir genötigt, allen voran Bernward mit der Heiligen Lanze, den Ausfall aus der unhaltbaren Pfalz zu wagen. Und wieder tat der Nagel vom Kreuz Christi guten Dienst ... zerzaust, bespuckt, mit Dreck besudelt, aber heil, so schlugen wir uns längs des Tiber durch zur Engelsburg. Die war noch in der Hand der Unsrigen, während Heinrich von Bayern und Hugo von Tuscien mit dem Gros der Truppen vor der Stadt lagen - ausgesperrt vor verrammelten Toren. Unter den Mauern lief murrendes Volk zuhauf, dem wir eben entkommen waren, und bettelte um eine Ansprache.

Monströser Selbstbetrug! Ach, du mein kaiserlicher Bub! Zwar brach die Rebellion in etlichen Stadtvierteln zusammen, und es lungerte durchaus verängstigtes Volk bei den Mauern, doch der Adel in seinen Ruinennestern blieb halsstarrig. Otto sprach mit dem Volk. Der Achtzehnjährige sprach in väterlichem Ton zu den Menschen - und sie legten ihm zwei erschlagene Rädelsführer zu Füßen.
Indessen verhandelten Heinrich und Hugo, die Feldherren Ottos, mit den Aufständischen. Sie hatten keine Verbindung zu uns, ahnten nichts von der Lage in der Engelsburg, fürchteten den Kaiser schon in der Gewalt der Feinde - und boten dementsprechend viel für seinen freien Abzug. Sie boten die endgültige Aufgabe Roms. So kam es, dass am sechzehnten Februar des unseligen Jahres 1001 Kaiser Otto III., gegen die bloße Zusicherung freien Geleits, wortlos durch die Porta Flaminia ritt und seine Urbs regia nicht nur für immer verließ, sondern - verlor.

Seither fehlt die Mitte, Rom, Sinnbild des Imperiums. Das Volk sah mich davonreiten - und weinte. Es weinte, Arnulf, leugne nicht!
Wir mussten zurück nach Ravenna. Und wenn ich hier nicht geistliche Inspiration erhalten hätte ... Romuald ist ein Heiliger, Arnulf! Ich verbiete dir, ihn zu lästern. Kein Wort mehr! Vor die Tür! Halt Ausschau nach dem Venezianer! Und prüfe, ob der Ring der Wachen steht, denn sicher, Arnulf, sicher war ich nur bei meinen Römern. Die weinten, als ich sie verließ ... erahnten, dass ich nebliges Deutschland und weihrauchschwangeres Byzanz nur für sie aufgegeben hatte - für die lichte, klare Vision der Weltherrschaft, das Caput Mundi ... Rom!

Wir zogen in den ravennatischen Palast. Ottos religiöser Wahn war frisch entfacht - er trug wieder den Stachelgürtel um die Hüften und fastete fünf Tage die Woche. Trotzdem - oder gerade deshalb - wandelte der Kaiser nachts schlaflos durch die Hallen. Kein Zuspruch half. Jedenfalls nicht der Zuspruch vernünftiger Männer. Statt dessen hörte Otto auf Romuald, dessen tückisches Geschwätz ... lasst mich ausreden Herr Kaiser, Ihr könnt mir dann ja die Zunge herausbrennen, doch zuerst rede ich aus ... Romuald, dessen Gefasel schon die Katastrophe von Tivoli verursacht hatte. Eine gefährliche Schleimzunge, dieser Mann! Nach wenigen Besuchen in seinem Sumpfkloster Pero, dessen übler Dunst allein schon jeden Funken Verstand erstickt, war der Kaiser soweit, dass er stammelte: Ich verspreche Gott und seinen Heiligen, dass ich binnen dreier Jahre, nachdem ich die Fehler meiner Herrschaft ausgebessert habe, diese Herrschaft einem würdigeren Kaiser übergebe, um selber fortan als Mönch zu leben.
Das war der Punkt, an dem der princeps befahl einzugreifen. Die Gründer konnten diesen Unfug nicht mehr länger dulden. Da kommt die venezianische Gesandtschaft, Herr - von Südost, wie vermutet ... sicher, Maultiere. Eines trägt Salz, das andere ... Stoffballen glaube ich. Als Händler wohlgetarnt. Soll ich die Leibwache ... jetzt halten diese Tölpel sie doch an ... tatsächlich ... so unternehmt etwas, Herr Kaiser! Nichts tut er. Betet, der exaltierte Jüngling!
Da wird die heiß ersehnte Gesandtschaft von seiner Leibwache gefleddert ... doch was tut er ... betet ... soll ihn der Blitz beim Scheißen ... was? ... ich habe nichts gesagt, Herr Kaiser, nein, da habt Ihr Euch verhört ... nun kommt doch endlich von den Knien hoch und schaut Euch die Gesandtschaft an, wie Eure Leibwache sie malträtiert ... nein? ... nicht? ... zu Eurem Herrgott betet Ihr und wollt nicht gestört werden? ... nagut, dann empfängt Kaiser Justinian die Boten ... tretet aus Eurem Mosaik, erhabene Majestät ... da sind ... ah, Herr, um Verzeihung mein Kaiser und Gebieter, da seid Ihr ja schon! ... oder? ... unglaublich, schon stolpert er zurück in seinen Weihrauchdunst, das kranke Kind auf dem Thron ... Spätling ... hätten wir doch einen anderen Kaiser ... seinen Großvater! Nein Majestät, ich habe nichts gesagt ... dann muss ich eben selber ...
Kämpe, fort mit dir! Natürlich weiß ich, wer du bist. Als wir in Rom aus der umzingelten Pfalz brachen, kämpften wir Schulter an Schulter. Doch jetzt will unser Kaiser diese Kaufleute hier sprechen ... ja Kaufleute, sagte ich doch ... natürlich will er ihne Waren kaufen, weshalb sollte er sonst Kaufleute vorlassen? Was - welche Waren? Bist du nicht ... nein, es ist gut, du brauchst nicht um Verzeihung bitten. Unser Herr Otto will Salz kaufen, um es zur höheren Ehre Christi in seine frisch gegeißelten Wunden zu reiben ... ja, du hast recht gehört, mein Freund - ein Kaiser, der sich geißelt, ist ... verwirrt ... wie alt bist du? ... schon dreiundzwanzig ... siehst du, und er ist nichtmal achtzehn ... halte nicht Kaufleute auf, die zu ihm wollen, sondern lieber die Bettelmönche!

Zum Schein gebrauchte der Kaiser die Salzwasserkur in Pomposa. Von dort brachen wir heimlich auf und ritten durch Sumpf, der jetzt im Frühling, dank sei Gott dem Herrn, noch nicht unter der Tyrannei der Mücken lag. Schilf wogte. Manchmal tschilpte ein Vogel, um uns vom Gelege fortzulocken. Kaiser Otto lächelte, wusste noch nicht, was auf ihn zukam. Er wollte insgeheim mit dem Dogen verhandeln - wir Gründer wollten das Treffen scheitern lassen. Mein kaiserlicher Bub hatte schon verloren. Bis zum Horizont wogte das Gras im rauen Wind. Unter den Pferdehufen schmatzte Sumpf. Der Kaiser lächelte und gab seinem Pferd die Sporen, als der erste Tropfen Gischt ihn anwehten. Wir ritten Ackergäule, die wir am Strand freiließen ohne Gewissensbiss. Erzbischof Friedrich von Ravenna, Heinrich von Luxemburg und ich sammelten Feuerholz. Der Kaiser starrte auf das Meer hinaus ins anbrechende Dunkel.
Zur Nacht fand das Boot unser Signalfeuer. Der Sekretär des Dogen, Johannes Diaconus, entstieg dem Kahn und trat aufrecht vor Kaiser Otto, kaum, dass er leicht den Kopf neigte. “Ich darf mein Knie nicht beugen, Majestät, verzeiht“, entschuldigte er sich. “Die Ruderer errieten sonst, dass Ihr der Kaiser seid. Und das darf nicht geschehen, darüber sind wir uns wohl einig!”
Der Kaiser zeigte keinerlei Gemütsregung. Diaconus war in einer Desdotona gekommen, einem Langboot, das normalerweise achtzehn Ruderer benötigt, auf dieser Fahrt jedoch nur zwölf hatte, um Platz zu lassen für Diaconus und seinen Gehilfen, für den Kaiser, Heinrich von Luxemburg, Friedrich von Ravenna und mich. Wir deckten Sand über das Feuer und zwängten uns auf harte Bretter ...

Sie packen zu. Packen den Bug des Kahns und schieben uns ins Meer. Sand knirscht unter dem Kiel. Es schwankt das Boot. Erlasse ich dem Dogen seinen Kniefall? Vielleicht ... weshbalb schwankt dieses Boot denn so? Sie rudern ja im Stehen ... verflucht, haltet den Takt, ihr liederliches Volk ... ihr wollt Veneter sein, Seefahrer ... au, gebt doch acht, oder wir kentern! Das Boot tanzt auf den Wellen ... dreht mir den Magen um. Nur gut, dass ich in letzter Zeit viel faste! Möchte den Bauch jetzt nicht voll haben! Speiübel. Dem Kaiser beliebt es, Veneter, eure Stadt über alle Maßen zu ehren ... vor und rück und rechts und links und ... Gott steh uns bei, das sind keine Ruderer ... rühren im Butterfass ... was schickst du mir für Volk, Dux der Veneter und auch von Dalmatien, ich sollte dich zur Strafe niederknieen lassen ... auf die Knie, Pietro ... hoch ... auf die Knie, Pietro ... hoch ... auf die Knie zurück ... Ihr Heiligen ist mir übel ... hoffentlich muss der Kaiser nicht als erster kotzen!

Dabei entsprang das ungeschickte Rudern keiner bösen Absicht, vielmehr den Warnungen vor einem Überfall auf See - deshalb hatte Diaconus die Hälfte der Ruderer durch Kriegsknechte ersetzt. Nun waren diese Männer aber ungeübt, Boote zu rudern und sorgten, bei kaum nennenswertem Seegang, für das üble Schwanken. Gerieten ständig aus dem Takt. Oder ein Riemen sprang aus der Dolle, der Ruderer warf sich im Nachfassen weit über die Bordwand und brachte uns fast zum Kentern. Vom Heck schimpfte der alte Steuermann, während der Hauptmann der Kriegsknechte auf ihn einredete, er möge stille schweigen. Nachts trügen Stimmen besonders laut über Wasser. Ob er uns den Feind absichtlich auf den Hals locke?

Verfolger, Arnulf? Wo? Ich sagte doch - nur im Kreis meiner Römer war ich jemals sicher. Nun sind wir aus dem Nest gefallen. Die ganze Nacht geht das schon so ... schwanken und streiten und schwanken und Wasser schöpfen ... und einen tropfnassen Knecht aus Seenot ... ihm Wein einflößen, damit er wieder zu sich kommt ... und es wird Morgen und die Möwen kreischen ... und erinnerst du dich an die Sperlinge von gestern, wie uns von ihren Gelegen fort tschilpten? ... wir suchen einen Nistplatz, Arnulf - nun, da uns Rom verloren ist! Byzanz gehört dem Anderen, gehört Basilios. Lass uns die Mitte wählen ... nisten wir zu Venedig!

Am Vormittag sahen wir die Fischerstadt Chioggia. Dort öffnet sich der südliche Porto in die Lagune. Die Bootsbesatzung zankte. Der Steuermann wollte auf offener See bleiben.
“Jeder Idiot, der von Süden einläuft, fährt bei Chioggia in die Lagune. Wenn sie uns irgendwo auflauern - dann hier. Lasst uns bis zum Porto di Malamocco auf offener See bleiben!”
Das wollten aber die Soldaten nicht. Sie, deren Hände vom ungewohnten Rudern aufgeplatzt waren, wollten ins ruhigere Wasser der Lagune.
Wir besprachen uns mit Diacon. Alle Passagiere waren bereit, zu rudern, um die am schlimmsten blessierten Soldaten abzulösen. Doch aus nebulösen Gründen weigerte Diaconus sich, dem alten Steuermann zu folgen - und es blieb doch bei der Lagune.
Als wir ins Bacino di Chioggia fuhren, sahen wir zuerst algenbedeckten Schlick, den die Ebbe freigab. Dahinter erstreckten sich endlos die Flächen der Barene, kaum über den Wasserspiegel erhaben, sodass inmitten von Salzwiesen, zwischen Queller, Portulak und Strandflieder deutlich erkennbar das Boot lag - vor einem Hintergrund aus Röhricht. Der Steuermann hatte den richtigen Riecher gehabt. Das waren keine Fischer aus Chioggia! Sie lagen auf der Lauer. Sie nahmen die Verfolgung auf. Zwar mühten wir uns ab, bis uns die Lungen brannten - sogar Kaiser Otto ergriff einen Riemen und legte sich mit seiner ganzen jugendlichen Kraft ins Zeug, aber ...

Sie holen auf ... auch so ein Kahn wie unserer mit achtzehn ... holen rasch auf ... sechzehn Ruderern, und offenbar geübt ... dazu zwei Bogenschützen, bald in Schussweite ... und wir an unseren Riemen bieten leichtes Ziel ... da stürzt der erste ... Schreiberling, nimm du den freien Riemen und ... ei, verflucht, sie schießen einen nach dem anderen aus der Reihe ... heh, Steuermann, die Röhrichtinsel dort, ja, die dort mit besonders hohem Schilf, halt darauf zu ... gut ... ja, mit aller Kraft und gleichmäßig im Takt ... nur noch ein paar Bootslängen ... und sobald hinter dem Schilf in Deckung ... beigedreht ... duckt Euch, Schwerter raus, der Feind muss gleich um diese Landzunge ... zuerst die beiden Bogenschützen ... Achtung ... still jetzt ... und alsdann: JERUSALEM!

“JERUSALEM!” rief Otto, als er sich auf den Feind warf. Er trieb dem ersten Bogenschützen sein Schwert in den Bauch, ehe der Mann die Sehne seines Bogens spannte. Graf Heinrich erledigte den zweiten Schützen. Auch die venezianischen Kriegsknechte fochten wacker, trotz ihrer aufgeplatzten Hände. Sie metzelten die gegnerischen Ruderer, bevor wir einschreiten konnten. So blieb uns keiner zum Verhör. Der Kaiser maulte zwar, davon wurde jedoch niemand lebendig.
Diaconus drängte zur Eile - was, wenn der unbekannte Feind ein zweites Boot ausschickte? Der Kaiser bezweifelte, ob dieser Feind denn tatsächlich so unbekannt sei, und wenn ja, wie Diaconus dann trotzdem gleich anfangs vor seinem Angriff habe warnen können und warum er uns in diese Falle geführt habe, anstatt dem Rat des Steuermanns zu folgen. Diaconus schwieg betreten. Und da wir ruderten, fehlte dem Kaiser bald die Puste für neuen Vorwurf. Wir stakten und ruderten nordwärts vorbei an den endlosen Sandbänken, die die Lagune von der Adria trennen. Bei jedem Boot, das unseren Kurs kreuzte, stockte das Herz, doch offenbar hatten wir keine Feinde mehr - außer jenen, die bereits das Brackwasser wiegte.
Wir ruderten unter der hohen Mittagssonne, die für das Frühjahr viel zu stechend schien. Wir ruderten mit blutenden Händen. Ruderten mit klopfendem Herz. Mit Gliedern schwer wie Blei. Passierten rechter Hand noch einen Porto und noch einen, passierten drei Inseln, davon eine bewohnt - dann kam der Turm der Benediktinerabtei San Servolo in Sicht, wo Pietro Orseolo wartete. Wir hatten eine Nacht und fast den ganzen Tag gerudert.
Bei Sonnenuntergang empfing der Doge uns am Landungssteg. Gelassen, wie den alltäglichsten Gast, hieß er den Kaiser willkommen. Als er jedoch Ottos Hände bemerkte, führte er uns zur Abtswohnung und schickte nach dem Bruder Apotheker. Bald trugen wir Kräuterwickel um die Hände. Oliven, Brot und Wein wurden serviert. Der Kaiser aß nur Brot. Darüber kamen die zwei Fürsten ins Gespräch - über das Fasten, die Askese, auch das Geißeln, heiligmäßiges Leben und die Tatsache, dass Orseolos Vorgänger, Pietro Orseolo der Erste, unter den Predigten des Sumpfmönches Romuald 978 vom Dogenamt abgedankt hatte. Einsiedler war er geworden. Die übrigen Orseoli, durchaus weltlich gesinnt, planten Venedig in ein Erbfürstentum umzuwandeln. Kein Wunder, dass das Volk die Familie Orseolo mit Argwohn beäugte! Und hierin war das Volk, so selten das auch vorkommt, derselben Meinung wie die Gründer.

Wieder aufs Wasser, diesmal in die Dogenbarke ... liederlich weiche orientalische Kissen, wie die meiner Mutter, in denen man versinkt ... sündiger Pfuhl, die Hände pochen und die Arme lahm. Steckt er dahinter? Pietro Orseolo? Hinter dem Überfall? Er sprach nur kurz mit dem Johannes Diacon, Halbsätze ihres eilig weichen Dialekts. Schien gar nicht überrascht, dass man uns überfällt. Nun - hoffen wir, er greift umso dankbarer meinen Vorschlag auf ... wenn er im Inneren nicht alles fest im Griff hat, könnte mein starker Arm ... warten wir ab. Da liegt sie also ... Venezia, die Prächtige, Stadt über dem Meer ... aber das ist doch wohl nicht sein Ernst, Arnulf - sind das Fischteiche dort am Dogenpalast? So geht es nicht - nicht in dieser Stadt, die ich erheben will über alle Maßen und jede berechtigte Hoffnung hinaus auf eine Stufe mit Byzanz und Rom! Ich dulde keinen Fischteich hier, Arnulf, in meiner zukünftigen Hauptstadt!

Wir wussten nicht, ob und wann Orseolo den Kaiser um die Erhebung in erblichen Fürstenstand bat. Auf Geheimhaltung legte er jedenfalls größten Wert, so wie Otto. Orseolo fürchtete seine aufgebrachten Venezianer und die Beschneidung venezianischer Handelsprivilegien durch Byzanz. Otto hingegen wollte unbedingt vollendete Tatsachen schaffen, bevor Byzanz von der venezianischen Pfalz Wind bekam.
Das also war die Ausgangslage: Kaiser und Doge brauchten Heimlichkeit - die Gründer wollten den heimlichen Staatsbesuch an die ganz große Glocke hängen, auf dass er scheitere am Volk und an Byzanz. Ein Erbdogenamt in Venedig konnte unsere Position nur schwächen - hier am Ort des Großen Archivs. Hier zählte jede Möglichkeit der Einflussnahme. Und den größten Einfluss übten wir bei der stets wiederkehrenden Dogenwahl aus. Das Dogenamt musste folglich Wahlamt bleiben und durfte niemals erblich werden!

Außerdem hörten wir von unseren byzantinischen legaten, dass Kaiser Basilios unter Druck durchaus bereit sei, Otto eine purpurgeborene Prinzessin als Braut anzubieten. Da unsere langfristige Strategie die Verschmelzung beider Kaiserhäuser vorsah, war uns an dieser Braut gelegen. Und wenn Basilios Druck brauchte, um sie herzugeben - wohlan, dann sollte er Druck bekommen! Sollte er fürchten, Venedig drifte ins westliche Kaiserreich ab! Er brauchte ja nicht zu erfahren, dass die Gründer so etwas nie zulassen würden. Sollte er sich in Sorgen verzehren - umso eher würde die Purpurgeborene ihr Schiff besteigen, als Versöhnungsgeschenk an Kaiser Otto. Auch aus diesem Grund war uns daran gelegen, Ottos venezianische Reise möglichst allgemein bekannt zu machen.

Die Schwarzen Hände hatten gute Vorarbeit geleistet. Am Dogenpalast wimmelte es von Menschen mit Fackeln und Laternen. Bettler und Schaulustige drängten sich zwischen den Abordnungen der Zünfte, die mit ihren Bannern in Reih und Glied des hohen Gastes harrten. Das war schlau eingefädelt: Kaiser und Doge sollten inmitten des erregten Volkes landen. Der Kurs der Dogenbarke ließ sich nicht mehr ändern. Auf dem offenen Canal zwischen der Giudecca und der Reede von San Marco war jedes Manöver unübersehbar. Otto blickte Orseolo an. Der schüttelte ratlos den Kopf. Wir waren rund dreißig Bootslängen vom Anleger entfernt. Ich schlich zu den Ruderern hinaus und trieb sie flüsternd zur Eile. Unter dem Verdeck hörte ich das Gemurmel der Fürsten:
“Das darf nicht sein“, sagte der Kaiser, dessen junge Stimme in Momenten der Ausweglosigkeit einen weinerlichen Klang annimmt. Ich konnte mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Orseolo stöhnte: “Ganz recht, das darf nicht sein, Majest...”
“Scht!” machte der Kaiser.
Gedämpfte Kommandos. Ruderschläge. Schweigen. Bis plötzlich Diaconus triumphierend ausrief: “Muss auch nicht sein!”
Mit jedem Ruderschlag glitt San Marcos gepflasterter Molo näher heran. Ich stand noch immer draußen bei den Ruderern, sah nur wirres Getümmel von Schatten, die das Fackellicht gegen die transparente Seidenbahn warf. Dann stieß auch schon der Schiffsrumpf an den Kai und wir lagen auf der Reede des Heiligen Markus. Der Kaiser rief mich. Zweimal. Ich hastete unters Verdeck, froh, dass er mich nicht fragte, was ich draußen bei den Ruderern getrieben habe.
“Herr Kaiser?” fragte ich - ich sah ihn nirgends. “Der Kaiser hat mich doch gerufen“, wandte ich mich ratlos an Graf Heinrich. Der kicherte und zeigte auf den Mann im grauen Gelehrtenmantel, der im hintersten Winkel des Verdecks stand, mit dem Rücken zu mir. Otto trug den Reisemantel von Johannes Diaconus. Er grinste. Mein Kaiserbub war manchmal noch ein rechtes Kind.
“Gehen wir, Arnulf“, sagte er und setzte sich an die Spitze. Orseolo riss ihn unsanft zurück.
“Herr Kaiser“, zischte der Doge, “vergesst nicht - ab jetzt gehört Ihr zum Gefolge. Ihr habt nicht mehr den Vortritt.”
Otto quittierte diese konsequente Frechheit mit Achselzucken - nun wieder unnahbare Majestät. Draußen hatte uns inzwischen die Wache des Dogenpalastes vertäut und eine Trittleiter aus vergoldetem Holz gebracht. Venedigs Pfarrsprengel waren angetreten - unter rund siebzig Bannern und Standarten, manche aus Goldbrokat, manche nur ausgefranstes Leinen. Misstrauische Gesichter, weil Agenten des princeps den hohen, gefährlichen Staatsgast angekündigt hatten. Lustlos ließen die Venezianer ihren Dogen und den Kaiser hochleben. Man sollte meinen, nun wäre unsere Falle zugeschnappt, aber durch das Spalier der Ruderer schritt Pietro Orseolo kaltblütig zur Trittleiter, gefolgt von Graf Heinrich und Bischof Friedrich. Der Doge nahm gewandt die Stufen - bot Heinrich die Hand und rief seinem Volk zu: “Begrüßt mit mir den Grafen Heinrich von Luxemburg, des Römischen Kaisers erlauchten Botschafter.”

Damit war unser erster schöner Plan hinüber. Sobald Venedig glaubte, der Kaiser sei gar nicht an Bord, wurde der Beifall freundlicher. Voran die hohen Herren, verließen wir die Barke - am Schluss Johannes Diaconus mit uns beiden, die wir uns nach Kräften mühten, untergeordnetes Gefolge darzustellen. Die hohen Herren wurden zu ihren Sänften geleitet. Uns Niedere führte Diaconus zur Nordostecke des Dogenpalastes, von wo wir mit einem Kahn zu dem Wehrturm übersetzten, der dort inmitten der Fischteiche steht.
Am Morgen holte Orseolo uns zur Messe. Otto hatte dem Dogen versprochen, seine jüngste Tochter als Pate über das Taufbecken zu halten. Und ob es nun ein gutes Omen war oder nicht - jedenfalls forderte der Doge die Einlösung dieses Versprechens, bevor die Verhandlungen auch nur begannen. Um zu verhindern, dass der Priester plauderte, hatte Orseolo den Besuch des Kaisers in aller Form gebeichtet, wodurch die Pfaffenlippen versiegelt waren. Nach der Taufe schlenderten wir müßig über San Marcos kostbaren Bodenmosaiken zur Pforte des Geheimgangs, durch den wir das Gotteshaus betreten hatten. Als höfliche Gäste würdigten wir den großen Tierkreis im Fußboden. Otto erzählte Anekdoten über seinen Lehrer Gerbert von Aurillac - inzwischen Papst Sylvester. Den hatte man einst aus Straßburg verjagt, weil er nicht abließ, die Sterne zu erforschen. Der Doge schwieg, als Otto begann, sich über astrologische Fragen auszulassen. Pietro Orseolo schwieg sogar mit einem Anflug von Missbilligung, während Otto eifrig lobte - den Wasserträger und den Steinbock. Da waren Stier und Jungfrau, Schütze, Fisch und Löwe. Nicht einmal, dass der Kaiser auf den geflügelten Löwen San Marcos anspielte, hob die Stimmung. Fast schon unhöflich zerrte der Doge uns weiter - in ein Boot, das am großen Markt Rialto vorbei zum Elternhaus der Dogengattin ruderte, wo das Taufessen aufgetischt wurde.

Ich sollte nicht mehr soviel fressen, bekommt mir nicht, bin es nicht mehr gewöhnt ... rechts rüber, Arnulf, sag dem Ruderer ... die Insel dort, das Hohe Ufer, wie es heißt ... Fässer, Kisten und ... Ratten, Doge! Wie viele solcher Inseln sind dein eigen? Siebzig? Achtzig? Dann baut ihr hier wohl viele Schiffe, so wie die, mit denen du im letzten Jahr Dalmatien erobert hast? Schiffe! Das ist ein gutes Thema, sprechen wir von Schiffen, denn ich hielt deine Tochter ja über der Taufe. Ich hob die Tributzahlung deiner Stadt nahezu auf. Nun wäre über deine Gegenleistung zu reden - wo bauen deine Männer nun die Schiffe, zeig mir einen solchen ... Squero, sagst du? ... nur ein Schuppen am Strand ... ach, ein volles Dutzend solcher Schuppen und dieser hier ist noch der kleinste ... Schiffe also, Doge! Bau mir Schiffe!

Da juckte ihn wieder der Pfaffentrug! Papst Sylvester, dem nicht entgangen war, wie Otto am Verlust Roms litt, hatte dem Kaiser diesen Floh ins Ohr gesetzt. Zuerst sollte Otto Jerusalem von den Muselmanen befreien. Sodann als Mönchskaiser auf Golgatha residieren. Das wäre doch ein würdiger Ersatz für Rom. Sicher - was hatten die Muslime im christlich-jüdischen Jerusalem verloren, im ganzen weiten, vierhundert Jahre lang christlichen Nordafrika, gar im spanischen Toledo? Warum sollte man ihnen den frechen Raub nicht wieder abnehmen? Aber Jerusalem als Ersatz für Rom? Ach Otto! Trotzdem brauchten wir nun angeblich Schiffe, um ein Heer von Gotteskriegern nach Jerusalem zu tragen.
Wie dieser Schiffsunfug zu Ottos übrigen Plänen passte, mochte der liebe Himmel wissen. Wie der Ausflug nach Jerusalem dem byzantinischen Kaiser zu erklären wäre, erst recht. Und wie der Doge, der doch zumindest nominell immer noch Basilios II. unterstand, die Schiffe am östlichen Kaiserhof rechtfertigen sollte - kümmerte Otto schon überhaupt nicht. Er bestand darauf zu landen, um auf Hobelspänen voller Rattenpisse über die nächtliche Werft zu stolpern.
Natürlich blieb dem Dogen gar nichts anderes übrig, als Ottos Wunsch nach Schiffen abzulehnen. Und kaum besser erging es Ottos zweitem Anliegen: Sein Plan, über das neuerdings venezianische Dalmatien eine Art Landbrücke zwischen westlichem und östlichem Kaisertum zu bauen, stieß auf kühles Schweigen. Hinter dem schmalen Landstreif drohte Ungarn, mit dem zwar Otto verhandelte, das zum Christentum übertreten wollte, dessen König Stephan beim Papst um eine Krone nachsuchte, das sich aber bedauerlicherweise mit den Venezianern so schlecht verstand - wie mit Otto gut. Dalmatien schnitt Ungarn von der Adria ab. Die Venezianer kauften und verkauften Ungarn und Kroaten nach wie vor als Sklaven. Noch so viele Dogendekrete mochten gegen diesen Handel erlassen werden - die Händler scherten sich nicht drum. Mit solchen Nachbarn im Rücken blieb die dalmatische Landbrücke gen Osten ein Hirngespinst.

Sieh, Doge, droben, das gestirnte Firmament, schau wie die Sterne uns den Weg weisen zu jener Insel ... sie sind die Lampen Gottes in der Nacht der Welt ... Lichter der Seefahrt, sagst du? Meinethalben, gut, auch das! Aber an Land gelten sie umso mehr - schau wie sie die Abtei San Giorgio anstrahlen ... und denk dir, statt jener Abtei stünde dort meine kaiserliche Pfalz ... du schautest aus deinem Fenster - ich schaute aus dem meinen ... mit einem Blick verständigten wir uns ... hier in deiner Lagune, die du beherrschen sollst als Fürst ... die Mitte zwischen Ost und West. Die guten Mönche verlegen ihr Kloster auf die Nachbarinsel. Hier aber, in meiner Kaiserpfalz, werden wir eines Tages schmausen: Basilios, der Kaiser von Byzanz, du Pietro, Herzog von Venedig. Und ich, Otto Kaiser und Herr von Rom. Die Welt wird dermaleinst regiert von diesem Ort ... jetzt muss ich rülpsen.

Der Ersatzplan des princeps machte sich die Anwesenheit des oströmischen Generals Sakellarios zunutze. Sakellarios kannte Kaiser Otto. Drei Jahre zuvor hatte Basilios ihn zu Verhandlungen über das byzantinische Exarchat an unseren Hof geschickt. Er war eine Tonne von Mann, obwohl er mäßig lebte. Er hatte siegreich in Bulgarien gekämpft und in Kleinasien, doch neuerdings setzte Basilios ihn meist für diplomatische Missionen ein. Sein schwammig graues, mürrisches Gesicht verunsicherte jeden Verhandlungspartner. So hinfällig und gefährdet wirkte Sakellarios, dass man ihm ungern etwas abschlug. Er selber jedoch hatte keine Hemmung, noch die geringste Schwäche seines Gegners auszunutzen. Der General wartete jetzt schon seit drei Wochen auf eine ordentliche Audienz beim Dogen ...

Alfons von Burgos war im dritten Jahr princeps, als er den Ersatzplan entwarf. Unter dem Deckmantel des Einsiedlers lebte er in einem Seitentrakt der Abtei San Giorgio. Aus seinem Fenster konnte er die Positionslichter der Dogenbarke sehen. Sobald der nächtliche Ausflug zwischen Kaiser und Doge verabredet war, hatte der princeps die Fälscherwerkstatt im Skriptorium angetrieben, ein Schreiben des Dogen an General Sakellarios herzustellen. Dort hieß es, Dux Pietro Orseolo II. bitte zur Audienz. General Sakellarios möge unverzüglich ein Boot besteigen, um dem Dogen auf seiner Barke zu huldigen, die im Bacino di San Marco liege, etwas näher zum Kloster hin, als zum Palast. Sakellarios würde an Bord der Dogenbarke gehen. Sakellarios würde den Kaiser sehen. Sakellarios würde nach Byzanz berichten. So der Ersatzplan unseres princeps ...

Die Pechfackel am Boot des Sakellarios leuchtete weit, und wurde uns sogleich unter Verdeck gemeldet, wo wir die letzten Vongole der kühlen Jahreszeit in Weißwein kochten. Fast ohne Wachen an Bord, befahl der Doge: Anker lichten. Die Idee einer Kaiserpfalz in Venedig war auf seine Ablehnung gestoßen. Als nun der Strick mit dem Stein aus dem Wasser gluckerte, waren Kaiser wie Doge heilfroh, dass sie die verfahrene Diskussion nicht fortzusetzen brauchten.
Eigentlich waren wir schneller. Doch ehe wir Fahrt aufnehmen konnten, lag das Boot des Generals vor unserem Bug, als wollte es sich in den Grund bohren lassen. Sakellarios dachte wohl - jetzt oder nie! Von zwei Sklaven gestützt wankte seine massige Gestalt auf einer Ruderbank. Er rief: “Ich bin der Gesandte seiner Majestät des Kaisers von Byzanz und melde mich zur Audienz.”
“Rammt ihn“, befahl der Kaiser. “Er kennt mich.”
“Geht nicht“, wandte Orseolo ein. “Byzanz zerquetscht mich.”
“Byzanz erfährt doch nicht, wenn dieser aufdringliche Mensch ersäuft.”
“Falls er ersäuft!” sagte Pietro Orseolo. “Hier reicht ihm das Wasser allenfalls bis zur Hüfte. Wie soll er da ersaufen, Kaiser? Außerdem ist der Mann fett! Und Fett schwimmt bekanntlich oben.”
Nur kurz wurde erwogen, den Kaiser in der Truhe für das Silber zu verstecken. Sie erwies sich als zu eng für Ottos Schultern, die im letzten Jahr mächtig in die Breite gegangen waren. Auch unter die Ruderer wollte Otto sich nicht mischen. Schließlich erlaubte der Doge dem General dennoch, an Bord zu kommen. Sakellarios erschien sitzend auf den verschränkten Armen seiner Leibsklaven und geruhte erst, auf eigenen Füßen zu stehen, als er sich vor dem Dogen verneigte. Andeutungsweise beugte er das Knie. Mich übersah er völlig. Nur den Kaiser, der sich in den dustersten Winkel zurückgezogen hatte, musterte er eindringlich.

Wann schöpfte Sakellarios Verdacht? Nicht jetzt! Obwohl er dem Kaiser gegenübersaß, erkannte er Otto an diesem Abend nicht. Allerdings schöpfte der General einen anderen Verdacht, während er auf den Dogen zunächst verständnislos, dann zunehmend erbost einredete, um schließlich wortreich zu beteuern, das kleine Missverständnis beeinträchtige die Beziehungen keineswegs. Beim Byzantiner blieb der Eindruck haften: Da war etwas faul im Staat Venedig. Zunächst pochte Sakellarios noch ahnungslos auf seine Einladung. Die war falsch. Der Doge wusste zwar, dass sie falsch war, wollte das aber nicht zugeben. Er hätte als Narr ohne Autorität dagestanden, der nicht einmal seine Kanzlei unter Kontrolle hatte. Lieber täuschte Orseolo vor, das Schreiben sei durchaus in seiner Kanzlei verfasst - nur eben mit dem falschen Datum. Er habe Sakellarios für morgen einbestellen wollen. Dem Dogen brach der Schweiß aus.
Während er log und schwitzte, überlegte Orseolo fieberhaft, was eigentlich vorging. Und diese Panik hat wohl Sakellarios erspürt, denn er hat den merkwürdigen Eindruck, den er von Bord der Dogenbarke mitnahm, sogleich protokolliert und ausweislich unserer Legatenberichte an seinen Kaiser nach Byzanz gemeldet. Irgendwann entschwebte Sakellarios auf den Armen ächzender Leibsklaven. Orseolo wusste - nach dem Piratenüberfall in der Lagune und dem Menschenauflauf bei unserer Ankunft - spätestens jetzt, dass seine Stadt eine ebenso intrigante wie skrupellose Opposition beherbergte. Er schrieb, wie sollte er auch anders, alles demselben Urheber zu. Und Kaiser Otto wusste nun, da Sakellarios ihn nicht erkannt hatte, dass sein junges Gesicht sich in den letzten drei Jahren stark verändert haben musste. Das war alles. Der Skandal, vom princeps so fein eingefädelt, war erneut missglückt. Uns lief die Zeit davon.

Der Wehrturm, wo wir ab Mitternacht verhandelten, hatte schon vor uns namhafte Bewohner. Hundert Jahre lang war er Sitz mehrerer principes gewesen, um dann im Erbgang an Venedig zu fallen. Ein schwer befestigtes Gebäude, aber komfortabel, versehen mit eigener Zisterne und gut ziehenden Kaminen in drei der vier Geschosse. Da trotz des Frühjahrs klamme Kälte herrschte, ließ ich den stummen Diener das Kaminfeuer im ersten Stock anfachen, bevor ich ihn schlafen schickte - ins kalte, unbeheizte Erdgeschoss, damit ihm oben später nichts zustieß.

Ist das klug, der Holzstapel hier am Kamin? ... gut ist das nicht, und dass der Zunder hier so dicht am Feuer liegt ... ob Sakellarios mich wirklich nicht mehr kennt? Sag, Arnulf, was meinst du? Hat mein Gesicht sich so verändert? Wenn er nun doch berichtet ... nach Byzanz berichtet: Kaiser Otto war beim Dogen? Ein harter Brocken, dieser Mann! Arnulf, was fummelst du da nur am Zunder und am Werg herum, ich spreche mit dir, zieh das weg vom Feuer, aus dem Funkenflug! Er mästet uns, der Doge, seit ich für sein Töchterlein Gevatter spiele ... mästet er uns, doch bei Verhandlungen kein Durchbruch, kein Entgegenkommen. Mästet er uns, bis wir fett sind und still? Jetzt wieder süßer Wein und Naschwerk ... ob er mir etwas schenken will ... den Kaiser kaufen? Der Kasten dort aus Ebenholz stimmt mich bedenklich ... glaubst du, er wagt, mir mit Kleinodien zu kommen, Reliquien oder Geschmeide?

“Ich will ehrlich sein, Herr Kaiser“, sagte Orseolo. “Ihr seht - die Lage in der Stadt ist heikel. Ich habe Feinde. Man wirft mir vor, ich wollte meinen Dogenhut vererben ... die phrygische Mütze zum Familienbesitz machen. Sie erkennen nicht, dass alles nur zum Wohle unserer Stadt geschieht. Wollen eure Anwesenheit an die große Glocke hängen. Kurz, ich kämpfe mit einem mächtigen inneren Feind. Und wenn ich Euren Wünschen, Kaiser Otto, allzuweit willfahre, verweigert mir Venedig die Gefolgschaft. Auch Byzanz ist heikel: Basilios verzeiht der Stadt niemals, sollten wir seine Oberhoheit antasten. Er zerreißt die Bulle unserer Handelsprivilegien, führt Krieg, und die Beziehungen zwischen den beiden Kaiserreichen leiden ...”

“Meine Beziehungen zu Byzanz haben schon erheblich gelitten, guter Doge“, sagte Otto. “Seit wie vielen Jahren halten meine Botschafter um die Hand einer purpurgeborenen Braut an - vergebens? Ich biete Folgendes - die Ehre, auf der Insel San Giorgio eine Kaiserpfalz zu beherbergen. Die Ehre und den Nutzen. Ganz davon zu schweigen, dass ich Venedigs Tribut nahezu vollständig erlasse. Rom zeigt mir jetzt die kalte Schulter, Pietro. Rom, das ich zur Hauptstadt küren wollte. Nun also - dann wird Venedig Hauptstadt. Es liegt mehr in der Mitte meiner Reiche. Der Weg nach Deutschland ist nicht gar so weit. Der Weg nach Polen, Ungarn, nach Byzanz ... und diese Stadt Venedig auf den Holzpfählen ist unbesiegbar, wenn man sie nur umsichtig verteidigt. Ich baue mir mein Haus in Eurem Fürstentum, das ich Euch gern als Lehen geben will. Euch und Euren Nachkommen. Eure Händler versorgen meinen Hofstaat. Eure Schiffe befördern meine Truppen - nach Süditalien, zu einem neuen Angriff auf das rebellische Rom. Oder nach Jerusalem, damit ich mir auf dem Berg Golgatha ein letztes Haus erbaue.”

Orseolo stürzte sich wie eine gierige Möwe auf das Angebot, die Dogenwürde erblich zu bekommen. Aus dem Ebenholzkasten, den Otto bereits misstrauisch beäugt hatte, zog Orseolo die Zeichnung eines prächtigen Diadems, das Kaiser und Papst ihm gemeinsam aufs Haupt drücken sollten. Weit waren die Pläne des Dogen gediehen. Der Kaiser sollte ihm zwei Jahre lang mit Truppen helfen, die innerstädtische Opposition niederzukämpfen. Als Gegenleistung bot Orseolo uns an - keine Pfalz, keine Flotte, weder nach Süditalien noch gen Jerusalem. Statt dessen - strikte Neutralität in allen Konflikten mit Byzanz. Hilfe bei der Christianisierung des Balkans. Und - als ewige Lehnspflicht Venedigs - die Gestellung von achtzig voll gerüsteten Panzerreitern, die aber immer nur dem Kaiser persönlich unterstehen und ihm als Leibgarde dienen sollten. Ein Witz! Auf seine Art war der geniale Orseolo genau so ein Fantast wie Otto. Brachten wir diesen Dogen nicht zur Vernunft, würden wir ihn am Ende vergiften müssen.
Mittlerweile waren beide Herren so gereizt, dass ihre Manieren litten. Der Kaiser spielte seine Würde aus und sprach im Ton herablassender Belehrung mit Orseolo. Der Doge hingegen machte gar kein Hehl mehr daraus, dass er Otto für einen dummen Jungen hielt. Seine Respektlosigkeit war kaum noch zu überbieten. Er griff in die Ebenholzkiste und knallte ein silbernes Kopfreliquiar mit der Kinnlade des Heiligen Markus auf den Tisch.
“Für Euch, Herr Kaiser, wenn Ihr unserem Handel zustimmt.” Es folgte ein Schwert aus Sarazenenstahl, eine Klinge von äußerlicher Schlichtheit, doch solcher Spannkraft und Geschmeidigkeit, dass Kaiser Otto sie um seine Hüften biegen konnte. Der Doge nahm ihm das Schwert wieder ab, zupfte einen Wollfaden aus seinem Mantel und pustete ihn auf die Klinge - das Fädchen ward entzwei geschnitten.
Auch der Rest des Gesprächs verlief erfreulich - zwar nicht für die Verhandlungspartner, aber durchaus für uns Gründer. Nachdem der Kaiser jedes Einzelne von insgesamt zwölf Geschenken abgelehnt hatte, verabschiedete Orseolo sich in übelster Laune. Der Handel war geplatzt. Allerdings blieben Kaiser und Doge sich einig über die Geheimhaltung des Treffens.

Und so musste ich doch noch Drecksarbeit tun, sobald Otto schnarchte. Weil der Zunder nicht reichte, schnitzte ich mit dem Dolch Späne von den Buchenscheiten und zog damit Lunten vom Kamin zu den vier Wandteppichen, die allesamt hinauf reichten ans Gebälk und die Holzdielen des zweiten Stocks. Ich schlich ins Erdgeschoss und holte die Amphore mit dem Öl, tränkte Zunder und Späne und vergoss am Kamin eine satte Lache, um die Lunten miteinander zu verbinden, mit Ausnahme jener einen, die zum Teppich an der Nordwand führte. Diese eine Lunte setzte ich nun zuerst in Brand und sah zu, wie ein bläuliches, bald gelbrotes Flämmlein über trockenes Moos und Späne züngelte, sich vorwärts fraß, die Wand erreichte und am Saum des Teppichs mit der Auffindung des Heiligen Markus in Alexandria leckte. Oben hustete Otto. Ich rannte hoch.
“Feuer?” keuchte er.
“Im ersten Stock.”
“Durchs Fenster raus“, befahl er.
“Die Scharten sind zu eng. Wir bleiben stecken. Kommt löschen, Herr Kaiser“, bat ich, “noch ist der Brand klein, doch sobald Flammen aus den Fenstern schlagen, schicken die Sprengel ihre Feuerwehren. Dann ist es vorbei mit der Geheimhaltung!”
Ich wandte mich zur Treppe. Otto gürtete sich. Mit dem Schwert schnitt er ein Stück Leinen vom Bettzeug und tunkte es in den Wasserkrug am Fußende des Lagers. Damit umwickelte er sein Gesicht, sodass nur die Augen frei blieben. Den Rest des Wassers goss er sich über den Kopf, ganz vorsichtig, damit kein Tropfen verloren ging. Die Zeit drängte. Ich hatte mir diesen Einsatz wahrlich nicht ausgesucht, aber der princeps hatte mir Brandstiftung befohlen, derselbe princeps, der sicher im Haus ohne Tür saß, wo er die Auffassung vertrat, ich müsse durchaus meine Haut riskieren im Feuer, um mein Inkognito zu wahren.
Ich schob ein glühendes Stück Holzkohle aus dem Kamin in die Öllache, gerade rechtzeitig, bevor Ottos Füße auf der Stiege tappten. Noch war der Rauch erträglich, doch jetzt rasten die blauen Zungen zu drei Teppichen und fraßen sich hoch. Mit unbeschreiblichem Fauchen stürzte der Westwandteppich auf die Treppe und versperrte uns den Weg ins Erdgeschoss.
Der Kaiser krächzte: “Runter können wir nicht mehr.”
Ich nickte nur. Der Atem wurde knapp. “Die Fenster sind zu schmal.”
“Hinauf!” rief Otto. “Auf die Zinnen!”
So hatte ich mir das gedacht. Ich öffnete die Ledertasche mit den Plänen und leerte sie ins Feuer. Dann kroch ich durch den Rauch hinauf, dem Kaiser nach.

Die Glocken von San Stefano läuteten Feurio. Merkwürdigerweise fand man die Glockenseile San Marcos und der umliegenden Pfarrsprengel später zerschnitten. Aber die Werftarbeiter und Schauerleute von San Stefano, deren Scuola samt Witwen- und Waisenkasse von jedem Feuerwehreinsatz profitierte, machten sich in die Boote. Flammen schlugen aus den unteren Turmfenstern. Die Boote gewannen im Canal Grande ordentlich Fahrt, bogen rechts ab, bogen nach kurzer Zeit wieder rechts ab, in die Enge der Fischteiche und Festungsgräben. Ein Boot blieb an einer Reuse hängen, doch vier Boote mit zwanzig Mann und Eimern erreichten den Brandort, als die Flammen aus den Schießscharten des dritten Stocks schlugen. Der stumme Diener stand am Fundament des Turms und krähte vor Begeisterung.
Otto setzte den Helm ab und schleuderte die kostbare Wehr ins Brackwasser. Dort stand niemand. Dort klatschte es nur leise. Wir hatten jedes Stück Pergament und Papyrus in die Flammenhölle unter uns geworfen. Alle Insignien der Kaiserwürde waren vernichtet. Otto nahm den Ring seines Vaters in den Mund. Dann sprangen wir. Der Kaiser zuerst. Die Füße stießen ins Wasser, kurz hofften wir, doch ohne dass wir etwas tun konnten, trieb uns die Wucht des Sturzes tief in den weichen Schlick, der uns leicht aufnahm bis zur Hüfte, jedoch nicht ohne Weiteres preisgab. Wir schrien. Löschmänner eilten auf unsere Seite des Turms. Einige wollten sich ins Wasser stürzen, um zu helfen, wurden aber zur Räson gebracht von einem gewitzten Alten.
Der Schlick sog uns bei jeder Regung tiefer.
“Dummköpfe!” schimpfte der Alte, als sie längsseits vor uns Halt machten, “mit dem Heck ran, Landratten, sonst kentern wir noch selber, wenn wir sie rausziehen. Der Schlick ist zäh. Fasst zu, ihr faules Pack, erst den dort, ja ... so ist es recht mein Alterchen, hau ... ruck, da hätten wir dich ja. Wer seid ihr und was wolltet ihr im Turm, habt ihr Feuer gelegt? So, Jungchen, nun ist gut, nun bist auch du an Bord!” Das war seine ganze Begrüßung für Otto. Kein Erkennen. Keine spontane Huldigung der Majestät. Kein Gerücht, das wie ein Lauffeuer durch die Stadt raste. Der princeps hatte sich erneut verrechnet. Was wir erlebten, war die Begrüßung eines schlammverdreckten Jünglings, von dem sein Lebensretter Dankbarkeit erwartete. Umsonst.

Da war sie, die Dogenbarke mit dem wundervoll geschnitzten Bug ... und starke Hände zogen uns aus jenem Kahn ... hüllten uns fürsorglich in warme Mäntel und eine Stimme befahl Löschmannschaften Stillschweigen über alles und jeden, den sie an diesem Abend gesehen hätten. Die Männer schauten verdutzt. Sie hatten mich, besudelt wie ich war und stinkend ... oben nach Rauch, unten nach Schlamm ... gar nicht erkannt. Ihnen sei verziehen. Im Dogenpalast war ein heißes Bad bereitet und ein Becher Würzwein und man legte Gewänder für uns heraus und als dies getan war, graute der Morgen und ... nicht wahr, Arnulf, jenes Gemach, wo wir auf Pietro Orseolo warteten, hatte einen herrlichen Mosaikfußboden ... Jesus Christus, der vor der Sphinx steht und auf seine Wunden zeigt, so als lösten sich dort sämtliche Rätsel des Erdkreises.
Endlich stürmte der Doge herein, als wäre er ernsthaft besorgt ... als hätten wir nicht stundenlang in seinem Palast gewartet, ohne dass er uns eines Grußes würdigte. Er trug dasselbe Gewand wie beim Abschied und nahm mich beiseite, weißt du noch Arnulf, wie ich ihm sagte: Keine Geheimnisse vor meinem treuen Arnulf, weißt du das noch? Und dann druckste Orseolo herum, er habe die Hintermänner des Piratenanschlags in der Lagune dingfest ... und noch in der Nacht erdrosselt ... alle drei: Daniele Robini, Giovanni da Ponte und Franco Florier. Beschwor mich ... Herr Kaiser, beschwor er mich ... und wenn Ihr mich jetzt einfach kröntet und ich bräuchte Eure Truppen gar nicht, um den Aufstand niederzuhalten und Eure Heimreise wäre gesichert?
Ich aber antwortete: Lieber Herzog von Dalmatien, wie du dich jetzt nennst, ohne mich gefragt zu haben ... und wenn du mir nun dieses herrliche Mosaik hier schenktest ... für das Schlafgemach in meiner Pfalz auf der Insel San Giorgio? So schieden wir.

Aus der Causa gentis Orseolo:

Erhabener Herr und einziger Kaiser Basilios! Eine Fülle von Geschehnissen habe ich nichtswürdiger Diener heute zu berichten, allein um der Gnade willen, unter dem Licht Eurer Augen zu weilen. Euer unbotmäßiger Statthalter und Tribun in Venedig, der selbst ernannte Doge und Herzog Orseolo treibt ein Ränkespiel, dessen Grundzüge ich hier skizzieren will. Vorgestern Abend wurde ich brieflich einbestellt zur Barke des Dogen. Die Einbestellung erwies sich als Irrtum, sobald ich an Bord ging. Orseolo redete sich zwar auf ein falsches Datum heraus, doch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er log. Irgendwer, so mein Eindruck, hat den Brief des Dogen gefälscht. Hat geschrieben, als hätte der Doge selber geschrieben. Unterzeichnet, als hätte der Doge selber unterzeichnet. Gesiegelt, als hätte der Doge selber gesiegelt. Doch von alledem hat Orseolo nichts getan. Er wusste nichts von meiner Einbestellung. Ich glaube er war, gleich mir, Opfer einer Intrige, deren Urheber ich zwar ahne, deren Sinn mir jedoch nicht einleuchtet.
Noch in derselben Nacht ließ Orseolo drei Familienhäupter erdrosseln. Einen Da Ponte, einen Florier und einen Robini. Von den trauernden Familien höre ich, dass diese Drei sich zusammengetan hatten, um Venedigs Freiheit und Traditionen zu schützen, samt Eurer Oberhoheit über die Stadt. Ob sie auch Urheber jener gefälschten Einbestellung waren, wollte mir niemand verraten. Vorstellbar wäre, dass man mich auf der Dogenbarke in die peinliche Lage brachte, um mir zu beweisen, wie stark die Opposition gegen Orseolo und seine Erbpläne ist, und was alles diese Opposition schon vermag. Wenn das so gedacht war, nun wohl, dann hat sich die Opposition damit keinen Gefallen getan.
Zugleich aber brodeln Gerüchte. Es heißt, der Doge bewirte den westlichen Usurpator und Deutschen König, den so genannten Kaiser Otto als Gast, was bereits zu einem großen Menschenauflauf und Antreten der venezianischen
Pfarrsprengel geführt hat. Dann landete allerdings doch nur ein Botschafter des Kaisers, der Luxemburger Graf Heinrich, der gestern Morgen samt Gefolge wieder abreiste.
Inzwischen weiß ich, dass man uns betrogen hat. Denn Otto war tatsächlich hier und hat mit dem Dogen verhandelt. Werftarbeiter, die ihm bei Löschen seines Quartiers das Leben retteten, ohne ihn zu erkennen, wurden später von den Männern des Dogen eingeschüchtert. Sie sollten nur ja nichts von dem edlen Jüngling erzählen, den sie aus dem Schlick gefischt hätten.
Ich weiß nichts vom Ergebnis der Verhandlungen. Bot der so genannte Kaiser dem Orseolo an, dessen Dogenwürde erblich zu machen? Schüttelt Venedig unsere Oberhoheit ab? Tritt es in den westlichen Reichsverband ein? Machen sie gemeinsame Sache gegen unseren Besitz in Süditalien? Alles ungewiss!
Nicht einmal Johannes Diaconus, dem Orseolo sonst blind vertraut, war bei den Gesprächen zugegen. Er war uns schon oft mit Auskünften gefällig. Ich bot ihm eine hohe Summe, doch hier konnte oder wollte Diaconus nicht behilflich sein. Nun harre ich, erhabene Majestät, Eurer Befehle: Soll ich dem Dogen klarmachen, dass ich über seine Verhandlungen Bescheid weiß? Soll ich versuchen, das Volk gegen seine Erbpläne aufzuwiegeln? Soll ich die edlen Geschlechter Venedigs unserer Hilfe versichern und mich mit ihnen verbünden? Oder soll ich so tun, als wüssten wir von nichts? Dann bliebe allerdings zu entscheiden, wie ich reagiere, falls Orseolo selber damit herausrückt oder die Sache auf andere Weise bekannt wird.

“Ihr selber müsst es dem Volk sagen, Doge!”
Alfons von Burgos fasste den Dogen am Arm und führte ihn aus der vergitterten Einsiedlerzelle in die hinteren Räume, wo der princeps komfortabel lebte. Er bot ihm Wein an. Orseolo akzeptierte, trank aber erst nach dem princeps.
“Da staunt Ihr, was?” fragte der princeps. “Das also ist die Wohnung des hochberühmten Einsiedlers Alfons in der Benediktinerabtei San Giorgio. Weißt du, Doge - ich kam weiter in der Welt herum als du. Ich bin mächtiger als du ... jajaja, reg dich nicht auf“, schnaubte der princeps, als Orseolo nach der Wache rufen wollte. “Die guten Benediktiner hier würden deine fünf Mann überwältigen. Und du würdest vom Bootssteg gestürzt und jämmerlich ersäuft. Und falls du dir nun einbildest, du könntest in deinen Palast zurück - und dort einen Haftbefehl für mich unterschreiben - vergiss das, Freundchen!”
“Ich kam“, stammelte Orseolo, “weil der Einsiedler Alfons von Burgos mich um eine Unterredung bat und finde ...”
“... einen Menschen, der komfortabel lebt und weder hysterisch Gebete brabbelt, noch in stinkendfaulen Lumpen umherirrt - wolltest du das sagen? Damit hättest du sogar recht. Höre! Ich lebe vornehmlich hier in Venedig, so wie mein Vorgänger und vielleicht auch mein Nachfolger. Ein erfahrener, vernünftig und bescheiden gewordener Doge ist uns allemal lieber als aufständisches Pack. Du hast übrigens die falschen Männer hingerichtet. Florier und seine Kumpane haben zwar den Piratenanschlag auf den Kaiser ... ja, was schaust du so verdutzt, das weiß doch alle Welt, dass du den Kaiser hier zu Gast hattest ... kurz: Du bist uns lieber, als die Rebellen. Nur weiß zu deinem Pech auch Sakellarios von Ottos Besuch und hat ihn nach Byzanz gemeldet. Komm ihm lieber zuvor ...”

So trat Pietro Orseolo II., Doge von Venedig und Herzog von Dalmatien am einundzwanzigsten April des Jahres 1001 auf der Hofstiege des Dogenpalastes vor sein Volk und entschuldigte sich, weil der geheime Besuch Kaiser Ottos ergebnislos verlaufen sei.

Publikationskommentar des praefectus archivorum Bertuccio Manini:

Unsere Position in der Stadt war gefestigt - die Vererbung der Dogenwürde blockiert. Weshalb der princeps zuvor legat Arnulf derart hohen Risiken ausgesetzt hatte, wenn er doch entschlossen war, selber ganz offen mit dem Dogen zu reden, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Im Archiv steht eine Reihe von Dokumenten von und über Arnulf - doch keines gibt diesbezüglich Auskunft. Orseolo hat übrigens nie gewagt, gegen den Einsiedler im Benediktinerkloster vorzugehen. Vielleicht hat der princeps ihm auch klargemacht, dass die Existenz der Gründer nur vorteilhaft ist für ein Venedig zwischen beiden Kaiserreichen. Jedenfalls nahm der Doge sein Wissen über Alfons von Burgos mit ins Grab.
Wie wir vorausgesehen hatten, geriet der byzantinische Kaiser beim Bekanntwerden von Ottos Staatsvisite in Zugzwang. Woher sollte er wissen, ob die Verhandlungen wirklich gescheitert waren? Sollte Basilios Krieg führen um die nominelle Oberhoheit in der Lagune? Wie verärgert war Otto? Möglicherweise so wütend, dass er versuchte, das unteritalienische Exarchat den Byzantinern fortzunehmen?
Basilios suchte Versöhnung und bewilligte endlich die lange vergeblich erhoffte Braut. Diesmal schickte Byzanz sogar, anders als im Fall von Ottos Mutter Theophanu, tatsächlich eine Purpurgeborene. Die junge Frau, als Verwandte eines regierenden Kaisers zur Welt gekommen, segelte nach Italien - und gleich wieder zurück, denn ihr hoher Bräutigam, Kaiser Otto, war inzwischen verstorben.

In den Monaten zwischen den venezianischen Ereignissen und dem Tod des einundzwanzigjährigen Kaisers flammte erneut der Gandersheimer Streit auf. Willigis von Mainz, unser wichtigster magister in Deutschland, gehorchte nicht mehr - weder uns noch dem Kaiser. Das trug nicht gerade dazu bei, dass Deutschlands Bischöfe und Herzöge bereitwilliger Truppen nach Italien in Marsch setzten, als Kaiser Otto Hilfe erbat, um Rom zu erobern.
Trotzdem nahm Otto den Kampf auf. Mit schwachen Kräften - dafür jedoch erbarmungslos. Er verwüstete Kampanien. Seine schwankende Seele neigte in jenen neun Monaten von der düsteren Frömmigkeit wieder mehr zur düsteren Grausamkeit. Nützen sollte ihm das nicht. Er starb am vierundzwanzigsten Januar 1002 in Paterno.

Arnulf blieb bis zuletzt beim Kaiser. Seine Legatenberichte aus diesen Monaten zeichnen das Bild eines jungen, seelisch bedrängten Mannes, der große Macht in Händen hält und sie nicht zu gebrauchen weiß. Als das Fieber kam, behandelte Arnulf den Kaiser. Gerettet hat er Otto nicht. Arnulfs größte Leistung bestand darin, nach dem Tod des Kaisers die geheimen Aufzeichnungen der Ottonen - das Liber Imperatorum - an sich zu bringen und nach Venedig zu schaffen. Das Buch gibt Auskunft über die Jahrtausendwende, über die Wiederaufnahme der karolingischen Traditionslinie durch die Ottonen, über die Pläne für den Ausbau Aachens als Krönungsstadt und über die tatsächliche Ungarnpolitik König Heinrichs und Kaiser Ottos I.. Wir verwahren dieses Buch und nehmen die Spur Arnulfs zu gegebener Zeit wieder auf.